DIE ROTE KAPELLE, DOKUMENTARFILM
Die Rote Kapelle, eine der größten deutschen Widerstandsgruppen im Dritten Reich, wurde, zunächst von der Gestapo und in darauf folgenden Jahren von Geheimdiensten als kommunistisches Spionagenetz diskreditiert. Zum ersten Mal erzählen Überlebende ihre wahre Geschichte im Film, begleitet von einer nie zuvor gesehenen Animationstechnik.

Gestapo Car

FILMKONZEPT
Als Kind stand ich vor einer Mauer mit einer Reihe von Fleischerhaken. Es war zwei Tage vor Weihnachten, es war kalt und ich war von Erwachsenen in grauen Wintermänteln umgeben. Sie gedachten ihrer Freunde, Verwandten oder Mitstreiter, die am 22. Dezember 1942 in diesem Raum, in der damaligen Hinrichtungsstätte des Gefängisses Berlin Plötzensee ihr Leben gelassen hatten. Mein Vater, Helmut Roloff, stand neben mir.

Als er 2001 im Alter von 89 Jahren starb, war er einer der letzten Überlebenden einer Gruppe, die die Gestapo als “Rote Kapelle” bezeichnet hatte. Die davor liegenden vier Jahre hatte ich damit verbracht, ihre Geschichte zu recherchieren und ihn regelmäßig zu interviewen. Das daraus entstandene filmische Portrait macht die unerzählte Geschichte der Gruppe lebendig. Es verbindet die Erlebnisse meines Vaters mit denen anderer Widerstandskämpfer, erzählt von deren Familienmitgliedern und Historikern, sowie Zeugnissen von Holocaust Überlebenden.

Bis heute wurde die wahre Geschichte der Roten Kapelle in keinem Film dargestellt. Ihre Angehörigen wurden statt dessen als Vaterlandsverräter verleumdet, für Aktivitäten, die Historiker heute als die einer der größten Widerstandsgruppen in Deutschland zwischen 1933 und 1942 anerkennen. Die Gruppe verband nur ein gemeinsames Ziel: Das Dritte Reich zu beenden, um Frieden und Menschenrechte in Deutschland wiederherzustellen. Auf ihre gefährlichen Tätigkeiten stand die Todesstrafe: Die Hilfe für bedrohte Mitbürger und eine Informationskampagne über geheime Pläne und Taten der Nazis. Diese erstreckte sich vom Zettelkleben in der Stadt bis zum Flugblattversand an einflußreiche Politiker, Kirchenobere oder Intellektuelle in Deutschland. Sie sollten Gedanken, Aktionen, Zwiespalt oder Unsicherheit auslösen, indem sie z.B. über hinter der Front an Zivilpersonen begangene Grausamkeiten berichteten.
International informierte die Gruppe die amerikanische Botschaft und die russische Handelsmission über Militär- und Wirtschaftsgeheimnisse Hitlers. Nach dem Angriff auf Rußland schickten die Sowjets einen Agenten nach Berlin, der ihnen Sendegeräte brachte. Leider funktionierten diese nicht, woraufhin Funksprüche aus Moskau sowjetische Spione in Brüssel anwiesen, nach Berlin zu fahren und das Problem zu lösen. Sie enthielten drei Kontaktadressen, die die Nazis entziffferten. Nach einer kurzen Beobachtungsphase wurden über 100 Menschen verhaftet, darunter auch mein Vater. Wie die meisten in der Gruppe hatte er keine Ahnung, daß seine Anklage Hochverrrat lauten sollte.

In Verhören durch die Alliierten in den späten 40er Jahren gelang es ehemaligen Gestapo Beamten, ihre Bewacher davon zu überzeugen, daß die Rote Kapelle ein weiterhin aktives, gefährliches sowjetisches Spionagenetz sei. Ihr Lohn war die Freiheit, und überlebende Angehörige der Gruppe wurden bis in die 70er Jahre beobachtet und abgehört.
Von den späten 60er Jahren an benutzte der Osten ein ähnliches Bild mit spiegelverkehrt positiver Deutung: Angehörige der Roten Kapelle wurden als Menschen geehrt, die ihr Leben gegeben hatten, um die Sowjets vor der Nazigefahr zu retten. Der sowjetische Botschafter verlieh ihnen posthum Orden, und die DDR produzierte einen Propagandafilm auf 70mm. Ihre Gesichter erschienen auf Briefmarken - das System hatte sie für seine eigenen Propagandazwecke entdeckt.
Erst der Fall der Mauer und Zugang zu KGB Archiven brachten Beweise ihrer unabhängigen Arbeit gegen die Nazis.

Die persönliche und tragische Geschichte ihres Widerstands wird von meinen Vater und Verwandten anderer Angehöriger der Gruppe erzählt. Es ist eine Geschichte von Überleben und Idealismus, von Betrug und Verfolgung. Der Film versucht, seinen Zuschauern die Umstände zu vermitteln, unter denen eine kleine Gruppe von Menschen beschloß, ihre Leben für ihre persönliche Freiheit und die ihrer Mitbürger zu riskieren.

Die Interviews werden von kreativ genutztem Archivmaterial begleitet, ursprünglich von Nazis und Privatmenschen gefilmt. Es spiegelt das tägliche Leben in der damaligen Zeit wieder, ist aber neu behandelt, um Details hervorzuheben und einen Blick auf den dunkelsten Moment des Jahrhunderts zu werfen, der die Rote Kapelle ins Leben rief.

Wir sehen Gegenüberstellungen von Propaganda und blinden Mitläufern, von Szenen täglichen Lebens bei Picknicks oder auf der Straße neben anderen von Razzien, Verhaftungen und Gewalt. Sie unterstreichen, warum die Bevölkerung keine Wahl hatte, als entweder in Angst oder Unwissen zu leben, wenn sie nicht den gefährlichen Versuch unternahmen, sich und andere gegen die Ungerechtigkeiten des Systems zu verteidigen. Dies Material ist mit den Gestapo Identifikationsfotos der einzelnen Angehörigen zusammengeschnitten, mit Gestapo Korrespondenzen, Nachkriegspresse und CIC Akten.

Eine zweite Technik wurde extra für diesen Film entwickelt. Sie vermeidet, durch schauspielerische Nachstellungen von der Authentizität des Interviews und des Archivmaterials abzulenken: Manchmal werden Szenen beschrieben, die nicht dokumentierbar sind, zum Beispiel Gestapo Verhöre oder der geheime Austausch von Nachrichten zwischen Gefangenen, die sich in Isolation und unter schwerer Bewachung befinden. Diese Szenen werden in Form einer neuen schwarz-weißen Animationstechnik gezeigt, die die Ereignisse ohne Verfälschungen darstellen kann. Zu den betreffenden Interviews gefilmte Szenen wurden dazu in schwarz-weiß Bilder verwandelt, die Zeichnungen ähneln.

Die Musik des Films ist von Martin Rev, dem Keyboarder des New Yorker Duos Suicide, komponiert. Der unaufhaltsame, manchmal gewalttätige Rhythmus, für den er bekannt ist, wird von seiner vielschichtigen, sensiblen Arbeit mit Filmen (Fassbinders “Year of 13 Moons”) und Videos (Edit DeAks “Frankie Teardrop”) komplementiert. Seine Erfahrungen mit Sampling erlauben ihm, spezifische Töne einzubauen. Diese reichen von dem Klingeln eines Telefons oder Straßengeräuschen bis zum Erkennungszeichen des BBC, dessen Hören, wenn es Nazis auffiel, mit dem Tod bestraft wurde. Er ist ein passender Komponist für die oben beschriebenen visuellen Techniken und für den Versuch, diesen Film einem zeitgenössischen Publikum näherzubringen.

Die Geschichte der Roten Kapelle ist zeitlos, denn historische Ereignisse wiederholen sich und konfrontieren Gesellschaften wiederholt mit Situationen, die Einzelne dazu zwingen, sich gegen populäre Meinungen zu stellen.

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