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Info

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Stefan Roloffs Installation wurde 2005 als Prototyp gebaut (siehe das folgende Video). Jetzt ist sie permanent installiert in der Villa Schöningen in Potsdam

Stefan Roloffs installation was originally built as a prototype in 2005 (see video above). It is now permanently installed at Villa Schöningen in Potsdam 

Text von Jürgen Schilling:

Konzept

In seinem aus zwei Installationen bestehendem Projekt „EINS + EINS“ setzt sich Stefan Roloff mit dem Thema von Abgrenzungen auseinander, die durch Distanzierung zwischen Menschengruppen entstehen.
Konzentriert auf die in den Jahren der Teilung gewachsene Selbstverständlichkeit, mit der Menschen in Ost und West die Mauer zwischen ihnen hinnahmen und mit ihrer Grenzbefestigung umzugehen lernten setzt er sein Bild zusammen.
Die Dualität des deutschen Volkes, von Roloff aus seinem New Yorker Exil betrachtet, trägt rein symbolischen Gehalt, weil sie die Auseinandersetzungen zwischen nationalen Identitäten innerhalb der EU, Abgrenzungen gegen nicht- EU, Geschlechterkämpfe, Altersgruppen oder rassistische Tendenzen parallelisiert.
Ein Anliegen der Installationen ist es, sichtbare Trennungen und Abgrenzungen zwischen Menschen darzustellen und unsichtbare Grenzen spürbar zu machen.

Projektbeschreibung

In beiden Installationen des Projektes „EINS + EINS“, baut Stefan Roloff eigene Aktionen an der Berliner Mauer der 80er Jahre ein.
In diesem Zusammenhang konzentriert er sich auf psychologische Faktoren. Dabei fordert er Reaktionen eines unvorbereiteten, oft inhaltlich und ästhetisch vorprogrammierten Publikums heraus.
Installationen haben anderen Darstellungsformen eine wirksame Realitätsbezogenheit voraus, weil sie den, der sie durchschreitet, involvieren und konditionieren.
Das gilt umso mehr, wenn mediale und technische Systeme einbezogen werden. Die Installation verwendet zwar Bilder. Im Unterschied zu traditionellen Kunstformen aber kein geschlossenes, fest umrissenes Bild, das mit einem Blick konsumierbar ist.
Die Erfahrung des Betrachters ist nicht allein eine intellektuelle, sondern auch eine physische, da die vielgestaltigen auf ihn einwirkenden Eindrücke, durch die Präsenz des Raumes und seiner Wirklichkeit erweitert werden.

Installation 1 „Das Leben im Todesstreifen“

Im Zentrum eines der beiden Ausstellungsräume konstruiert Stefan Roloff ein Fachwerkhaus inmitten einer nächtlichen Gartenszene.
Ein Fachwerkhaus, wie es auf den Titelblättern von Reiseführern oft als Aushängeschild unserer Nation abgebildet ist.
Man betritt eine nächtliche Szenerie, erhellt von Stirnleuchten, die an den Köpfen einer Anzahl von Gartenzwergen angebracht sind, die auf dem Kunstrasen vor und hinter dem Zaun aufgestellt sind. Aus der geöffneten Tür des Hauses dringt Licht und vermittelt den Anschein einer heimeligen, ruhigen Atmosphäre, wie sie auch das Innere des schlichten Baus suggeriert. Den Eintretenden empfängt eine kleinbürgerlich ausgestattete Wohnzimmerlandschaft mit Sofa, Stehlampe und Tisch, sowie dem obligatorischen eingeschalteten Fernsehgerät, auf dessen Bildschirm alltägliche Tele-Intimität in Form eines munteren Maskentreibens flackert. Das Ambiente ließe Rückschlüsse auf die ausgeglichene, friedfertige und selbstzufriedene Mentalität ihrer virtuellen Bewohner zu, wären da nicht die Fensteröffnungen, deren in sie eingelassene Flachbildschirme ausschnitthaft Bildfolgen aus einer anderen, latent bedrohlichen zweiten Realität im Hintergrund zeigen. Sie lassen an der Idylle zweifeln, die Illusion verflüchtigt sich.

Videos der Installation „Das Leben im Todesstreifen“

Roloff hat, fasziniert von der Tatsache, dass Menschen im Schatten jenes Todesstreifens, der Deutschland 28 Jahre trennte, einer als normal empfundenen regulären Arbeit nachgingen, fünf kurze Filme gedreht, die das surreal anmutende Agieren der Grenztruppen der DDR auf diesem Areal zum Thema haben, das sich in Berlin in der Länge von mehr als 40 Kilometern vom Pankow bis hinunter nach Rudow schlängelte.
Die Blicke des Besuchers in Roloffs Fachwerkhaus irren vom spießigen Mobiliar zu den Monitoren, auf denen Videos von unterschiedlicher Länge in Form von Endlosschleifen abgespielt werden. „Bei jedem Durchlauf laufen verschiedene Bilder zur gleichen Zeit ab und neue Zusammenhänge entstehen. Im Gegensatz zum von einer festen Laufzeit und einer Projektionsleinwand abhängigen Kino bietet dieses Konzept eine dreidimensionale, zeitunabhängige Darstellungsform.“ Roloffs fragmentarische Filme vermitteln eine Ahnung vom Alltag an der Grenze.

Roloffs Bilder zeigen die Normalität der tödlichen gegenseitigen Bewachung, das absolute Stagnieren, das Gegenteil von Leben und Kreativität. Da geht es nicht mehr um DDR oder andere politische Begriffe, sondern um einen menschlichen Zustand.
Stefan Roloffs kurze Filmschleifen dokumentieren Stillstand und Lethargie eines Systems am Beispiel eines ambitionierten, doch zugleich dumpfen Überwachungsdienstes an der innerdeutschen Grenze.
Im Einzelnen zeigen die ins Interieur eingebetteten Monitore folgende Szenen:

a) Vor der weißen Mauer am Potsdamer Platz gehen Uniformierte in Zweierreihe zum frühmorgendlichen Schichtwechsel. Sie tragen Aktentaschen und Gewehre mit sich. Militärfahrzeuge fahren durchs Bild. Die abgelöste Nachtschicht stellt sich an einer schwarzen Metalltür an, die sich öffnet und sie hinauslässt. Ein Lastwagen befördert sie an ihren Standort.

b) Man schaut auf ein kleines Militärboot, das im Regen manövriert. Der Besatzung ist die vom Ufer aus erfolgende Beobachtung bewusst geworden. Sie hantiert mit Ferngläsern. Ein größeres Problem scheint allerdings ein defekter Scheibenwischer darzustellen, dessen Instandsetzung alle Aufmerksamkeit erfordert.

c) Das Video ließe – aus dem Kontext gerissen – an absurdes Theater denken. Die auf dem Gebäude patrouillierenden Grenzwächter sind auf Grund der filmenden Beobachter offenbar nervös geworden. Sie telefonieren, fotografieren und ergehen sich in hektischer, aggressiver Betriebsamkeit. Hier stellt sich die Grenze so dar, wie eine Generation im Westen die DDR wahrgenommen hat: der andere Teil Deutschlands war präsent als vage Bedrohung, als verschwommenes Feindbild, als exotisches Land, über das man in Anführungszeichen sprechen musste.

d) Gefilmt wurde auf der Straße zur Enklave Steinstücken, die beidseitig von den weißen Betonplatten der Mauer und Wachtürmen gesäumt wird. Lichteinflüsse bewirken, dass eine Seite der Mauer strahlend hell, die andere düster wirkt. Wiederholtes Durchfahren dieser Situation und wechselnde Einstellungen der Kamera bewirken die Illusion, dass der Filmende sich in einer menschenleeren, völlig von bedrohlichen Befestigungswerken umschlossenen Zone befindet. Verstärkt wird die den Eindruck des Ausgeliefertseins vermittelnde visuelle Rhetorik durch den hämmernden Sound, den der auf das Mikrofon der Kamera knallende Fahrtwind bewirkt, während die sich aus dem Originalsound von Regen, Auto- und Bootgeräuschen entwickelnde Tonkulisse der anderen Videos eine lähmende Akustik unterlegt.

e) Ein Grenzer harkt den Minenstreifen. Roloff wiederholt diese Sequenz mehrfach, um die Endlosigkeit seiner Tätigkeit darzustellen. Das Band zeigt weiter mehrere Szenen, die dokumentarisch Situationen an der Mauer einfangen. Steif demonstriert ein Volkspolizist staatliche Präsenz an einer Häuserecke an der Bernauer Straße inmitten von Passanten, seine Kollegen putzen effektiv die Fenster ihres Wachturms und bewegen ihre Fahrzeuge.
Roloffs Installation vereint Versatzstücke aus der Realität mit sarkastischen Elementen und konkreten Bildern aus der Vergangenheit; im Sinne einer „Realkunst“, bzw. der „Transformation-Installation“.
Irritiert konstatiert der Besucher dieser Installation, dass die hinter den Fensterleibungen dokumentierte Realität sich in den Vordergrund schiebt, weil sie ihn mit Informationen konfrontiert, die ihm zwar bewusst sind, die er jedoch zu verdrängen sucht. Man begreift, dass sie ein – subjektiv interpretiertes – Geschichtsbild darstellen, das die physische Nähe einer als ordentlich und stabil begriffenen Wohnsituation mit dem unmittelbar gegenwärtigen Abnormen aufzeigt, das sich vor der Haustür abspielt.

Vor diesem Hintergrund entpuppen sich auch die Gartenzwerge im Vorgarten als bedrohliche Erscheinungen. Sie bringen zwar Licht ins Dunkel, doch nicht nur der gebündelte Schein ihrer Leuchten weckt Assoziationen. Als Personifizierung des Kitsches und nostalgischer Sehnsüchte gelten diese Wichte mit ihren hohen roten Zipfelmützen.
Darüber hinaus signalisiert der Gartenzwerg im Vorgarten: Hier wohnen Gemütsmenschen.
Räumlich, visuell und akustisch kombiniert Roloff Dinge Gegnsätze. Verfremdung und Verzerrung der Situation bewirken Staunen und lösen ein beklemmendes Gefühl aus.

Installation 2 „Der Wachturm“

1982 errichtete Stefan Roloff in geringem Abstand von der Mauer gemeinsam mit pseudo-uniformierten Helfern einen mobilen Wachturm, dessen Kanzel mit Rekonstruktionen von Grenzern und einem Scheinwerfer besetzt war.
Roloff verdoppelte für kurze Zeit in Sichtweite der Überwachungskameras und unter den Augen der entsetzten Volkspolizisten und der ebenso entsetzten West-Polizei das Inspektions- und Kontrollpotential an der Westseite des Grenzübergangs Chausseestraße. So visualisierte er das Prinzip gegenseitiger Bespitzelung, ein Thema, das die Videoinstallation „Leben im Todesstreifen“ in zeitlichem Abstand, unter veränderten Vorzeichen und mit verschärfter Wirkung erneut aufgreift.


Credits

Title: 1+1
Director: Stefan Roloff
Year: 2005
Genre: Installation